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Alarmierende Studie zu Klimawandelfolgen: Das Golfstromsystem macht schlapp 15.09.2020

 

Auszug:

Von

Stefan Rahmstorf

Aktualisiert am 15. September 2020, 12:13 Uhr

In Kooperation mit  Der Spiegel

Mehr Brände, Hitzewellen und Niederschläge - viele Vorhersagen der Klimaforschung sind Realität geworden. Nun könnte auch die lang befürchtete Golfstromsystem-Abschwächung eintreffen, mit Folgen für Europa.

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In Macapá, ganz im Norden Brasiliens, direkt am Äquator, ist die Kraft des Amazonas am größten. Bis hier hat der Fluss über Hunderte Kilometer Wasser unzähliger Nebenflüsse aufgenommen, das er dann wenige Kilometer östlich der Hauptstadt des Bundesstaats Amapá in den Atlantik entlässt.

Doch auch der wasserreichste Fluss der Erde kann es an seinem Endpunkt nicht einmal ansatzweise mit den großen Kräften des Meeres aufnehmen.

Seit Achtzigerjahren warnen Klimaforscher vor Abschwächung

Das Golfstromsystem bewegt pro Sekunde knapp 20 Millionen Kubikmeter Wasser und damit fast das Hundertfache der Amazonasströmung. Dabei fließt warmes Oberflächenwasser nach Norden und kehrt als kalter Tiefenstrom nach Süden zurück.

Er ermöglicht so einen gigantischen Wärmetransport mit einer Leistung von mehr als einer Million Gigawatt, fast das Hundertfache des Energieverbrauchs der Menschheit. Diese Wärme wird im nördlichen Atlantik an die Luft abgegeben und beeinflusst nachhaltig unser Klima.

Doch schon seit den Achtzigerjahren warnen Klimaforscher vor einer Abschwächung oder gar einem Versiegen dieser Strömung infolge der Erderwärmung. "Unangenehme Überraschungen im Treibhaus?" titelte 1987 der berühmte US-Ozeanologe Wallace Broecker einen Aufsatz im Fachblatt "Nature" dazu.

Sogar Hollywood nahm sich 2004 des Themas an, in dem Film "The Day After Tomorrow" des deutschen Regisseurs Roland Emmerich. Doch Messdaten, die eine laufende Abschwächung belegen könnten, gab es nicht.

Erst seit 2004 gibt es ein kontinuierliches Monitoring bei 26°N im Atlantik (RAPID). Die Daten zeigen zwar eine Abschwächung des Strömungssystems, doch die Messreihe ist noch zu kurz, um einen möglichen Klimatrend von natürlichen Schwankungen zu unterscheiden. Für die längerfristige Entwicklung des Golfstromsystems müssen wir daher auf indirekte Hinweise zurückgreifen.

Regionaler Kühlungseffekt mitten im Klimawandel

Eine langfristige Abschwächung sollte zu einer Abkühlung im nördlichen Atlantik führen. Einen solchen regionalen Temperatureffekt inmitten der globalen Erwärmung haben Klimamodelle seit Langem vorhergesagt. Und tatsächlich zeigt die Auswertung von Daten der Meerestemperaturen, dass der nördliche Atlantik sich als einzige Weltregion der globalen Erwärmung widersetzt und seit dem 19. Jahrhundert sogar kühler geworden ist.

Zudem sieht man eine besonders starke Erwärmung vor der nordamerikanischen Küste, die laut Modellsimulationen zum charakteristischen "Fingerabdruck" einer Abschwächung der Golfstromzirkulation gehört.

Dieser Fingerabdruck gilt als wichtiger Beleg, und nicht zuletzt deshalb hat der Weltklimarat IPCC vor einem Jahr in seinem Sonderbericht zu den Ozeanen erstmals festgestellt, dass Beobachtungsdaten "darauf hinweisen, dass die Atlantische Umwälzzirkulation sich abgeschwächt hat".

Zwei Studien liefern unabhängige Belege

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